Vitamin E und Selen für Pferde
Die herausragende Bedeutung von Vitamin E und Selen für Pferde
Dr. Ulf Abele, Entwicklungsleiter einer mittelständischen Firma für Tierarznei- und Spezialfuttermittel: Deutschland gilt als Selen-Mangel-gebiet. Dies liegt zum einen an den selenarmen Ausgangsmineralien der Bodenentstehung, zum anderen an den hohen Niederschlägen, die freies Selen auswaschen sowie an bestimmten Bodeneigenschaften (z.B. pH-Wert), durch welche dieses Spurenelement im Boden festgelegt wird und für die Pflanzen nicht verfügbar ist. Futterpflanzen für Pferde sollten mindestens 0,1 mg, besser 0,2 mg Selen je kg Trockenmasse enthalten. In mehr als 98% aller Grasproben liegt jedoch ein ungenügender Selengehalt von weit unter 0,1 mg/kg TM vor!
Vitamin E-Mangel entsteht vor allem im Winter und zeitigen Frühjahr, wenn auf Grund von Lagerungsverlusten die Vitamingehalte im Grund- und Kraftfutter (Heu, Futtergetreide, Silage) die Grundversorgung der Tiere nicht mehr gewährleisten. Wegen seines weiten Wirkungsspektrums besitzt Vitamin E eine Schlüsselrolle. Insgesamt führt eine gute Versorgung mit Vitamin E zu einem Schutz der Membranlipide vor einer Zerstörung durch oxidative Stoffwechselprozesse.
Auch das Spurenelement Selen ist für den Organismus von großer Bedeutung. Es übernimmt als wichtigstes Element im Enzym Glutathionperoxidase die Reduktion bereits oxidierter Verbindungen im hydrophilen Zellbereich. Vitamin E und Selen wirken daher synergistisch als Zellschutz vor so genannten freien Radikalen, sodass sich Vitamin E- und Selen-abhängige und -beeinflussbare Mangelzustände nur schwer unterscheiden lassen. D.h. zwischen Vitamin E und Selen bestehen enge funktionelle Bindungen. Eine getrennte Behandlung der Tiere erweist sich daher in der Praxis als unzweckmäßig. Dem miteinander verknüpften Wirkmechanismus beider Wirkstoffe werden folglich nur gemeinsame Versorgungsempfehlungen gerecht.
Eine optimale Vitamin E-Selenversorgung wirkt sich beim Pferd in vielen Bereichen positiv aus: Sie ist allgemein für die Funktionsfähigkeit des Immunsystems notwendig, d.h. Antikörperbildung und Phagozytose werden aktiviert. Vitamin E und Selen fördern die Entwicklung und Erhaltung der Funktionsfähigkeit der weiblichen und männlichen Fortpflanzungsorgane sowie die Entwicklung der Embryonen. Vor allem gegen Ende der Trächtigkeit sind Vitamin E und Selen essenziell für die Ausbildung einer funktionstüchtigen Skelett- und Herzmuskulatur. Bei suboptimaler Vitamin E-Selenversorgung der Stuten während der letzten sechs bis acht Trächtigkeitswochen werden lebensschwache, krankheitsanfällige Fohlen mit Schluckreflexstörungen und Stehschwäche (Schädigung der Skelettmuskulatur) geboren.
Die Gehalte an Vitamin E und Selen im Blutplasma und in den Organen von Fohlen sind niedriger als die der Mutterstuten. Die Neugeborenen sollten daher nach erster Kolostralmilchaufnahme und danach wiederholt mit dieser Wirkstoffkombination in leicht resorbierbarer Form oral versorgt werden. Die Fohlen erscheinen dadurch frischer und entwickeln sich besser.
Lässt man alle verletzungsbedingten Muskelschäden und nicht definierten pathologischen Muskelveränderungen außer Acht, dann sind mehrere Muskelbeeinträchtigungen bekannt, die durch degenerative Prozesse gekennzeichnet sind und im Allgemeinen auf Vitamin E-Selen positiv ansprechen. Dies ist erstens die paralytische Myoglobinurie (Kreuzverschlag), zweitens die Muskeldystrophie (Degenerative Muskelschwäche), die vor allem beim Saugfohlen bis zum Alter von fünf bis sieben Monaten beobachtet werden kann und drittens das so genannte „Tying-up Syndrom", eine dem Kreuzverschlag ähnliche Muskelentzündung, die bei hoch im Training stehenden, energiereich gefütterten Pferden nach einer Ruhepause von ein bis zwei Tagen auftritt und sich in Verspannungen und Krämpfen der Rückenmuskulatur äußert. In schweren Fällen kann das Pferd die Hinterextremitäten nicht mehr bewegen und die Kruppenmuskulatur ist hart angeschwollen. Dieser Zustand ist durch eine abnorme Aktivitätszunahme muskelspezifischer Enzyme (GOT, CPK) im Serum gekennzeichnet, was auf einen Muskelschaden schließen lässt. Mit angemessenen Gaben von Vitamin E-Selen lassen sich Muskelschwächen und -schäden therapieren und was noch wichtiger ist auch sicher verhüten.
Es ist experimentell überzeugend belegt, dass die Widerstandskraft des Organismus gegen Sauerstoffmangel bei hoher Leistungsanforderung entscheidend vom Vitamin E-Selenversorgungsgrad abhängt. Das jeder muskulären Aktivität folgende Sauerstoffdefizit wird vermindert und der Wirkungsgrad der Sauerstoffverwertung erhöht. Dies bedeutet, dass Vitamin E und Selen den sauerstoffabhängigen (aeroben) Energieumsatz der Muskulatur verbessern und den Zeitpunkt der anaeroben Energiegewinnung und leistungsabhängiger peroxidativer Membranschäden an der Muskelzelle hinausschieben. Versuche haben gezeigt, dass zwischen Vitamin E-Selenversorgung und Leistungsvermögen eine Abhängigkeit besteht. Trainierbarkeit, Rennleistung und Ausdauer werden durch hohe Vitamin E-Zulagen, die über den Erhaltungsbedarf deutlich hinausgehen, gesteigert; Rittigkeit und Erholungsfähigkeit gefordert. Bei älteren Pferden scheint dieser Effekt für die Verbesserung des Muskelstoffwechsels besonders ausgeprägt zu sein.
Darüber hinaus ist es auch sinnvoll, Vitamin E und Selen vorbeugend gegen durch Transportstress verursachte Muskelschäden einzusetzen. Praxisorientierte Versorgungsempfehlungen gehen heute in Richtung l mg Vitamin E je kg Körpergewicht (entspricht ca. 500 mg je Pferd und Tag) bis 2 mg je kg Körpergewicht (bei besonders hoher Leistungsanforderung), kombiniert mit einer Selenergänzung von ca. 2 mg pro Pferd und Tag.
Für eine optimale Bio-Verfügbarkeit des fettlöslichen Vitamin E (DL-?-Tocopherolacetat) sollte dem Kraftfutter Pflanzenöl zugesetzt werden (was gleichzeitig das Energie/ Eiweiß-Verhältnis verbessert) oder gleich ein Produkt (Ergänzungsfuttermittel) verwendet werden, in welchem das Vitamin E bereits in Öl, vorzugsweise in direkt resorbierbaren mittelkettigen Triglyceriden (MCT) gelöst ist, was die Verfügbarkeit wesentlich verbessert.